Geschichte
Fast 50 Jahre nach seiner Gründung hat der Verein Arsenal – Institut für Film und Videokunst (ehemals Freunde der Deutschen Kinemathek) nicht nur eine 10.000 Titel umfassende Filmsammlung vorzuweisen. Er ist damit auch sein eigenes Archiv geworden: Im Gegensatz zu anderen Filmarchiven wurde hier niemals ein Sammlungsauftrag angenommen, den der Verein anhand definierter Kriterien durchzuführen hatte. Stattdessen entstand aus seiner eigenen kuratorischen und vermittelnden Praxis heraus immer wieder die Notwendigkeit, Filme verfügbar zu halten, damit sie überhaupt eine Öffentlichkeit in Berlin, in Deutschland oder in einigen Fällen auch weltweit erreichen konnten. Insofern spiegelt die Filmsammlung ein halbes Jahrhundert internationaler Kinogeschichte jenseits des Kommerziellen, anhand der lebendigen Geschichte einer Berliner Institution, die in ihrer Struktur weltweit einzigartig ist.
"Ein Kino für öffentliche Vorführungen zu betreiben, gehört zu den unverzichtbaren Aufgaben eines Filmarchivs. Zwar gibt es einen alten und niemals endenden Streit unter Filmarchivaren, was wichtiger sei, Filme zu konservieren oder sie zu zeigen, jedoch wird niemand im Ernst bestreiten, dass die Organisation von regelmäßig stattfindenden Filmvorführungen auch zu den wesentlichen Zielen einer Kinemathek gehört. Einige Filmarchive, so die Pariser Cinémathèque Française, haben sogar über lange Jahre durch ihre Zyklen und Retrospektiven die Filmkultur ihres Landes beeinflusst." (Ulrich Gregor)
Aus der Erkenntnis der Wichtigkeit von Vorführungen historischer Filme wurden 1963 die Freunde der Deutschen Kinemathek gegründet. Sie stellten sich zur Aufgabe, die Bestände der im gleichen Jahr gegründeten "Deutschen Kinemathek", die zunächst über sehr wenig Personal verfügte, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ab Mai 1963 haben die "Freunde" zunächst in der Berliner Akademie der Künste regelmäßig Filme gezeigt. Dabei gingen sie von einem zentralen Gedanken aus: der Kombination von Altem und Neuen. Bereits das erste Programm stellte neue deutsche Kurzfilme der Oberhausener Schule neben einen Klassiker des Expressionismus, Paul Lenis DAS WACHSFIGURENKABINETT (1924).
Die Sammlung hat sich parallel zu den Aktivitäten der Kinoaufführungen (zunächst an der Akademie der Künste, seit 1970 im Kino Arsenal) entwickelt. Es begann damit, dass ein Mitarbeiter Lionel Rogosins, Jimmy Vaughan aus London, eines Tages seinen Film COME BACK AFRICA (1958) - einen Klassiker über die Apartheid-Politik in Südafrika - bei den "Freunden" deponierte mit dem Wunsch: "Bitte tut etwas für den Film!"
In den späten 60er Jahren fanden vor allem die Kurzfilme lateinamerikanischer Filmemacher, aber auch z.B. Solanas' Filmtrilogie DIE STUNDE DER HOCHÖFEN Eingang in die Sammlung und damit Schutz vor den damaligen Diktaturen in Argentinien und Chile. Als 1971 erstmals das Internationale Forum des Jungen Films stattfand, machten es sich die Organisatoren zur Hauptaufgabe, die Filme nicht nur für ein zehntägiges Ereignis heranzuschaffen, sondern die ausgewählten, meist untertitelten Filme in Deutschland zu behalten und sie nach Möglichkeit der gewerblichen und nichtgewerblichen Filmarbeit zur Verfügung zu stellen.
Der Filmstock vermehrte sich jährlich um ca. 30 - 40 Forumsfilme von zunächst noch unbekannten FilmemacherInnen. Jahrelang beherrschten manche dieser Filme die Programme der Kommunalen und Off-Kinos, so z.B. Herbert Bibermans SALT OF THE EARTH, die Filme von Derek Jarman, Ulrike Ottinger, Theo Angelopoulos, Manoel de Oliveira, Andrej Tarkowskij, Nagisa Oshima, Park Kwang-Su, Jonas Mekas, Mrinal Sen, Mani Kaul, Hou Hsiao-Hsien, Ousmane Sembène, Alexander Sokurow - die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Rivettes Mammutfilm OUT1/SPECTRE oder die Dokumentarfilmepen SHOAH von Claude Lanzmann, MANUFACTURING CONSENT von Peter Wintonick und Mike Achbar, Filme von Marcel Ophuls, Frederick Wiseman, Robert Kramer, Yvonne Rainer, Raymond Depardon wurden durch die Arbeit der "Freunde" zu Klassikern eines "anderen Kinos". Noch heute ist die Auswahl des Forums ein nicht geringer Teil des Distributionsangebots.
Auch kleinere Sammlungen fanden Eingang ins Arsenal-Archiv: Nach dem Mauerfall bemühten sich Erika und Ulrich Gregor erfolgreich um filmische Bestände der Sowjetischen Armee, die sonst vernichtet worden wären. Die Institution rettete eine Privatsammlung mit Hollywoodklassikern im 16mm-Format, die jahrelang die Programme der Kommunalen Kinos in Deutschland füllten und somit ganze Kinogenerationen filmisch sozialisierten. Gesamtwerke einzelner Filmschaffender wurden der Sammlung übergeben, darunter die Werke von Heinz Emigholz, Birgit Hein, Trinh T. Min-ha, Ulrike Ottinger, Helma Sanders-Brahms, Jack Smith, Frederick Wiseman. In den 1980er Jahren wurden durch die Arbeit des Forums und des Kino Arsenal weit über 100 afrikanische Filme gezeigt, in den 1990er Jahren standen das Filmland Indien und das Hongkongkino im Vordergrund. Die meisten der Filme wurden untertitelt oder zumindest mit deutschen oder englischen Textlisten versehen und fanden Eingang in die Sammlung.
In den 1970er und 1980er Jahren entwickelte sich durch die Arbeit des Forums der Berlinale sowie eine enge Zusammenarbeit des Hauses mit dem Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) eine enge Verbindung zum New American Cinema und damit zu Vertretern des Underground- und Avantgardefilms. Insbesondere der Mitarbeiter Alf Bold war am Aufbau eines umfassendes Netzwerkes beteiligt, indem er selbst viel Zeit in Nordamerika verbrachte und schließlich begann, mit Sachspenden zahlreicher Filmemacher eine umfassende Experimentalfilmsammlung aufzubauen, die neben noch unbekannten Juwelen Werke nahezu aller bekannten Vertreter wie Bruce Conner, Michael Snow, Hollis Frampton, Su Friedrich, Joyce Wieland, Ken Jacobs, Kenneth Anger, Jonas Mekas enthält. Bis auf Bruce Conner, Hollis Frampton und Joyce Wieland, die inzwischen verstorben sind, sind all diese Regisseure dem Hause bis heute in vielen Projekten eng verbunden. Nach seinem Tod im Jahre 1994 hinterließ Bold der Institution einen Experimentalfilmfonds, mit dessen Hilfe diese Arbeit fortgeführt und kontinuierlich ausgebaut werden konnte: Im Jahre 2003 erhielt das Arsenal – Institut für Film und Videokunst den Innovationspreis des BKM für sein Distributionskonzept für Experimentalfilm und Videokunst, das nicht nur Verleihangebote für Kinos, sondern auch für Ausstellungen und andere mediale und kulturelle Kontexte beinhaltet.