Flug durch die Nacht
Werk
Flug durch die Nacht ist eines der eindrücklichsten Beispiele des in dieser Zeit sich neu orientierenden jungen Westberliner Kinos. (…) die beiden ProtagonistInnen, Gretel Kemeny und Martin Peter (…) treten zunächst als Duett im Schöneberger Café Mitropa auf, einem der Laufstege der damaligen New Wave- und Post-Punk-Szene, doch es sind dabei keine Gäste anwesend. Weder verheimlicht der Film, dass die Dreharbeiten nachts außerhalb der Publikumszeit stattfinden, noch fiktionalisiert er eine typische Bar-Atmosphäre. Die vom kalten Filmlicht durchflutete Gaststätte wirkt genauso lakonisch verfremdet, wie die einzige Textzeile, die Kemeny zur scheppernden E-Gitarre von Peter singt: „Denn sie wissen, was sie tun!“ Und auch wenn die beiden DarstellerInnen an späteren Stationen des Films – Bett, Dach, Küche, Brückengeländer, Pförtnerloge – plakative Dialogfragmente variieren, markieren sie dabei kein zielgerichtetes Anliegen, auch nicht das Epos einer Odyssee. Zwar erinnern vereinzelte Motive an Klassiker der Filmgeschichte (beispielsweise an das Gangsterpärchen Bonnie und Clyde), und zwischendurch erscheint der Film wie ein existenzialistisches Musical. Doch geht es weder um die Re-Inszenierung eines Mythos noch um die Kristallisation eines Zeit-Bildes. Brisant wird es vor allem, wenn sich die Regisseurin ihrerseits akustisch aus dem Off in die Szene einmischt. Etwa wenn sie sich lauthals vergewissert, dass die mitwirkende Tontechnikerin ihre Aufnahme macht, obgleich Kemeny/Peter lediglich darüber rätseln, wie sie ihre Rolle spielen sollen. Oder wenn Baltrusch ausdrücklich darauf besteht, dass die Kamera weiter läuft, auch wenn die beiden gerade schweigen und nichts besonderes zu zeigen wissen. „Scheiß auf das teure Filmmaterial!“ – So verkürzt es wäre, in solcher Geste den ironischen Reflex auf die von Subvention und Wohlstand geprägte Überflussgesellschaft des späten West-Berlins zu sehen, so wenig sind die vom Drehbuch vorgegebenen Dialogfragmente – „Es ist eine ungeheure Bedrohung über der Stadt“ ... „Der Tod wirbt mit einer Ausdauer um mich, dass es nicht auszuhalten ist.“ – allein auf jene die Stadt konturierenden militärischen Abschreckungsszenarien gemünzt. Vielmehr inszeniert Baltrusch die hier zwischen Privatheit und Öffentlichkeit irrlichternden BesucherInnen so abwechslungsreich, dass der Film geradezu ein Paradigma liefert für die – auch vom Kalten Krieg – dekonstruierten Rendezvous- und Stilpolitiken dieser Ära. (Rainer Bellenbaum)